5
Sep
2008

Cinemans review of Wolke 9 – ab dem 04. September 2008 im Apollo

Nun ging ich also endlich wieder für mich und für das Hochschulradio Aachen ins Kino, um hernach über meine Eindrücke Bericht zu erstatten. Doch befand ich mich in einem kleinen emotionalen Tief – sozusagen in einer Post-The-darn-good-Dark Knight-Blues-Stimmung. Und was hatte ich gestern schon zur Auswahl? Entweder schön polierte Oberfläche oder runzliges, faltiges Abschlussgewebe. Wofür entschied ich mich also? Richtig: Für den körperlichen Verfall vor der Dekadenz des Mainstream-Kinos. Also stiefelte ich zum Apollo und sah mich bald von einem atypischen Publikum umgeben; tatsächlich gehörte ich cinedemographisch zum unteren Altersdrittel der Zuschauer! Viel hatte ich von „Wolke9“ noch nicht gehört außer der Rezension auf WDR2, wo genau diese beiden Filme (der andere war natürlich „Wanted“) bewertet worden waren. Das reichte dann auch, denn man möchte sich nicht allzu sehr vereinnahmen lassen. Aber das wenige Gehörte reichte, um meine Phantasie zu beflügeln. Und bevor der eigentliche Film also anfing, fabulierte ich neue Sehgewohnheiten: Wir werden ja alle nicht jünger, sondern immer älter. Was, wenn das Publikum in Zukunft tatsächlich immer älter wird? Ist die Werbung davor dann noch zeitgemäß? Nehmen wird die Eiswerbung: Da räkelt sich nicht mehr die knackig-frische Eva Longoria (klingt auch ganz nach Verlangen, was Eis eben bei uns auslösen soll – unbedingt) auf der Leinwand, um das neue M***** anzupreisen, sondern eine in die Jahre gekommene Frau, eine Greisin gar, die sich nun lustvoll auf dem Altar der Werbung hin- und herwiegt, wie es die Arthrose gerade noch zulässt. Ein Spot, der seine Zielgruppe findet…
Wie eben erwähnt ist die Zielgruppe an diesem Eröffnungsabend weniger konkret, sondern im Alter diffus. Was erfreulich ist, sagt man doch oft, dass die verschiedenen Generationen interessenmäßig nicht vieles vereint. Im neuen Film von Andreas Dresen (Regisseur u.a. von „Halbe Treppe“ und „Sommer vorm Balkon“ – die ich beide bisher nicht gesehen habe) widmet er sich also dem Alter, dem die Zukunft gehört. Und er bringt uns die Ü60er näher, als man glauben möchte, hautnah, um genau zu sein.
So dauert es im Film keine fünf Minuten, bis sich zwei Menschen in innigster Umarmung finden, leidenschaftlich übereinander herfällt. So weit, so normal. Weniger normal ist vielleicht das Alter, in dem sich die beiden libidinösen Protagonisten befinden: sie ist schon über 60, er gar bereits 76. Aber was heißt hier unnormal? Inge nimmt sich das, was ihr gefällt; sie denkt nicht darüber nach, worauf sie sich in ihrer Affäre mit Karl eingelassen hat. Ihr kommt es einem Wunder gleich, dass sie sich in ihrem Alter noch einmal verliebt wie ein Teenager, mit Schmetterlingen im Bauch und dem ganzen Programm. Sie macht sich keine Gedanken, was ihr Mann Werner wohl davon hält, mit dem sie immerhin auch schon 30 Jahre verheiratet ist, und das nicht gerade unglücklich. Sie denkt nicht an ein Morgen, vielleicht, weil sie weiß, dass es nicht mehr allzu viele Morgen gibt in ihrem gefühlten 5. Frühling. Und was hat ihr Leben denn auch noch zu bieten? Zwischen gemeinsam gehörter Lokomotivaufnahmen von Platte und folkloristischen Chorproben gönnt sie sich in ihrem Alltagsleben, das Andreas Dresen fast dokumentarisch begleitet, ihre zurückgewonnene oder neu erlebte Sexualität als eben besagtes Wunder. Geradezu angestachelt wird sie dabei von ihrer Tochter, die tief beeindruckt ist von den Liebeswallungen ihrer Mutter, die sie ihr bestimmt nicht mehr so zugetraut hätte.
Inge ist hin und her geworfen zwischen dieser lang nicht mehr gekannten Leidenschaft und dem schlechten Gewissen gegenüber ihrem Mann, den sie sichtlich immer noch liebt. Doch sie entscheidet für das neu gewonnene Lebensgefühl, beichtet die außereheliche Beziehung Werner und trennt sich schließlich von ihm. Werner spricht die Meinung aus, die wahrscheinlich auch die (jüngere) Fraktion mehrheitlich vertritt: „Schämst du dich nicht in deinem Alter?“ Die Frage soll jeder für sich selber beantworten.
Der Film hat seine stärksten Momente, wenn er realistisch, also ungeschönt das Begehren älterer Menschen offen zeigt, uns Anteil haben lässt am Alltag derjenigen Menschen, denen die Jüngeren nicht mehr so viel oder gerade so etwas wie erfüllte Sexualität zutrauen.
Das Spiel der Darsteller spiegelt die erlebte Leidenschaft detailliert wider, mitunter wirken die Dialoge improvisiert.
Vielleicht bewirkt dieser Umstand, dass man sich nicht konsequent mit Inge identifizieren kann. Ihre letztlich egoistische Art, die sie eher bockig stammelt, verdirbt ihr so manche zuvor bekundete Sympathie. Vielleicht, weil ich in dem Moment eher mit Werner sympathisiere, der als einziger auf der Strecke bleibt. Für meinen Geschmack fällt das Finale zu drastisch aus. Aber vielleicht ist diese Wendung auch ein Zugeständnis an das Alter, in dem einem nicht mehr viel bleibt.
Wolke 9 ist ein gewagtes Unternehmen, das einen vielfach belohnt:Es ist ein filmisches Reflektieren über das Älterwerden und das Bewahren der Würde dabei; Gefühle werden ihnen in gleicher Weise zugestanden wie den so genannten jüngeren Menschen (Wo wird überhaupt die Grenze hin zum Alter gesetzt? Und wer setzt diese Grenzen?). Die intimen Szenen sind im Film alles andere als zahnlos; Zärtlichkeit kennt kein Alter.

Fazit: Nicht ein Senioren-Porno, sondern ein Plädoyer für das Liebemachen im Alter.
Nicht nur für Rentner zu empfehlen.

Der Morgen danach

Die Morgensendung im Hochschulradio Aachen auf der 99,1 MHz

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