11
Apr
2008

Die filmische Neuvorstellung - Neues vom Cineman

...Before the devil knows you are dead (aka Tödliche Entscheidung), der neue Film von Sydney Lumet,

…ist nicht der vollständige Titel. Vielmehr handelt es sich bei diesem leicht irritierenden Spruch (aufgrund der zwei verschiedenen Leseweisen), um das Ende eines irischen Toasts. In Gänze lautet es daher vielmehr: „May you have food and raiment, a soft pillow for your head; may you be 40 years in heaven, before the devil knows you're dead.“ Was hier als Wunsch ausgesprochen wird, ist im Film düstere Drohung und Hinweis auf die schlimmen Dinge, die da noch kommen.

Was ist das Wesen eines Thrillers? Für mich eine Vielzahl von literarischen bzw. filmischen Metaphern und Phrasen. Wie das Bild der Verstrickung: Jemand tut etwas (in seinen Augen vielleicht sogar etwas Gutes), doch kraft seines Handelns verheddert er sich immer weiter in das Gespinst aus Stolperfallen und Schlingen, die sich mit jeder Bewegung immer fester um einen schließen. Es ist die Dante’sche Hölle, in die der Weg spiralförmig immer weiter nach unten führt – zum Teufel persönlich. Es ist das Bild vom Punkt auf dem Weg, ab dem es keine Umkehr mehr geht; es ist der Weg der Verdammnis.

Was ist das Wesen eines Dramas? Für mich wiederum ist es die Mangelhaftigkeit in der Kommunikation oder sogar das vollständige Fehlen einer eben solchen. In manchen zwischenmenschlichen Konstellationen erschweren vielfältige Faktoren das Funktionieren von Verständigung. Zum Drama wird es allerdings erst, wenn man sich selber oder gegenseitig im Wege steht und das aufgrund mehr oder minder offensichtlicher Missverständnisse. Das Drama ist dann am größten, wenn man sehenden Auges in den Untergang geht, billigend das Mitleiden anderer in Kauf nehmend.

In einer Kritik stand die Formulierung – so oder so ähnlich: Familientragödie altgriechischen Ausmaßes. Das stimmt, wenn man bedenkt, dass das Leid, das sich die einzelnen Familienmitglieder zufügen, ein selbstgemachtes ist, und ein lang gehegtes zumal.
Hier gibt es keine Erlösung für die Handelnden, wenn man bei dem Wirken des Schicksals überhaupt noch von handeln sprechen kann. Am ehesten findet man den Kompromiss, wenn man von einem gemachten Schicksal spricht; ein Schicksal wie eine Maschine, die einmal angeworfen nur noch zur Verdammnis führt.
Und wieder einmal ist die Katharsis, die Läuterung nur dem Zuschauer bestimmt.

Diese Vorgedanken seien mir gestattet, um besser auf den Film einzustimmen, dessen Besprechung hier nun folgen soll.

Wie werden die einzelnen Mitglieder dieses Familiendramas eingeführt?
Da wäre zunächst Andy (Philip Seymour Hoffman), der ältere zweier Brüder. In der ersten Einstellung des Filmes sieht man ihn, wie er seine Frau Gina (Marisa Tomei) von hinten nimmt wie ein Tier, wie ein dicker Eber vielmehr. Dabei betrachtet er sich stolz im großen Spiegel, der neben dem Bett angebracht ist. Eitel und selbstherrlich kommt er sich vor. Doch die Fassade des Starken ist sehr dünn und brüchig.
Anders ist Hank. Hank (Ethan Hawke) erscheint direkt als der Loser, als den seine Ex-Frau und später auch seine Tochter ihn sehen. Ein Trinker, ein Spieler, eine traurige Gestalt. Oder in vielen Augen immer noch ein Baby, das zu schwach ist, selber etwas auf die Beine zu stellen.
Bis auf die Tatsache, dass er sich Gina mit seinem Bruder teilt, ohne dass dieser natürlich etwas davon weiß, noch ahnt, haben sie nicht viel gemein. Einzig die akuten Geldprobleme eint sie.
Während Hank mit Geld nicht umzugehen versteht, ist Andy eigentlich ein cleverer Immobilienmakler. Eigentlich. Hank hat aber Firmengelder in nicht unbeträchtlicher Menge veruntreut, und nun stehen Finanzprüfungen im Hause an. Emotional ist er ein Wrack, das seine verdrängten Gefühlswelten in Drogenräuschen zu ersticken versucht. Er will seiner Frau einen Lebensstandard geben, den er sich im Grunde nicht leisten kann. Gina bestärkt ihn in diesem Ansinnen, da sie sich mit vermeintlichem Reichtum die eigene gefühlte Wertlosigkeit vom Hals schaffen möchte.
Was liegt also näher, als ein Juweliergeschäft auszurauben. Und warum nicht gleich das der Eltern.
Denn die Familienbande sind schwach ausgeprägt, falls sie überhaupt noch vorhanden sind.
Wie so häufig läuft alles schief, was nur schief gehen kann. Da Hank sich den Raub nicht zutraut, heuert er seinen Kumpel Bobby an, der die Juwelen stehlen soll, während Hank den Fluchtwagen steuert. Der simple Plan eskaliert, als Bobby eine scharfe Waffe ins Spiel bringt. Bevor er selber erschossen durch die Eingangstür des Ladens nach draußen vor die ungläubigen Augen Hanks geschleudert wird, gibt Bobby einen Schuss auf die Verkäuferin ab und verletzt sie dabei schwer.
Was Hank zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht weiß, ist, dass das weibliche Opfer seine Mutter ist. Durch einen unglücklichen Zufall ist sie zur Tatzeit im Geschäft, und nicht – wie geplant – die Freundin der Eltern. Die Mutter liegt im Koma, sie ist hirntot und wird nur noch künstlich beatmet. Ihr Mann, der dominante Patriarch Charles Hanson (Albert Finney), muss die schwere Entscheidung treffen, sie gehen und die Maschinen abstellen zu lassen. Nach ihrem Tod kennt er nur noch den Gedanken, Rache an den Hintermännern für diese Untat zu nehmen.
Auf der Beerdigung ergibt sich zwischen ihm und Andy die Möglichkeit, sich auszusprechen und alte Verletzungen zu beseitigen. Doch Andy will nicht eine Entschuldigung des Vaters hinnehmen, als würde das seine Minderwertigkeitskomplexe und das erlittene Leid einfach so ungeschehen machen. Wie Andy es einmal passend ausdrückt: In der Welt der Bilanzen ist alles eine Summe der einzelnen Teile. In ihm wollen sich die einzelnen Teile zu keinem harmonischen Ganzen fügen.
Während Hank vom Bruder von Bobbys Witwe unter Druck gesetzt wird, muss sich Andy mit der Tatsache konfrontiert sehen, dass Gina ihn verlassen will, nicht ohne ihm vorher mitzuteilen, dass sie ein Verhältnis mit seinem jüngeren Bruder hatte. Sie erwartet von ihm eine angemessene Reaktion, aber Andy weiß nicht mit seiner Umwelt zu kommunizieren. Vielmehr hat er mit sich abgeschlossen und schreckt nun nicht mehr vor Mord zurück, um sich doch noch ein „sorgenfreies“ Leben zu verschaffen.
Charles Hanson hat mittlerweile Andy als den Drahtzieher der Tat identifizieren können und folgt ihm, um ihn letztlich zu richten.
Am fatalen Ende gelingt Hank eine fragwürdige Flucht von einer Hölle in die nächste; Charles geht hingegen in ein Licht, das nicht der Himmel ist.

Die Erzählstruktur des Filmes ist springend. Dank Einblendungen bezüglich der chronologischen Einordnung verliert man aber nicht den Faden, zumal die Szenen sich zum Teil wiederholen, wenngleich dann auch aus einer abgeänderten Perspektive. So ergibt sich eine quasi vielgesichtige, Rashomon-artige (fürs Fernsehen auch von Lumet 1960 verfilmt) Schau auf das Geschehen, nur um umso deutlicher die Unausweichlichkeit des Schicksals zu unterstreichen.

Der verantwortliche Komponist Carter Burwell (eine Art Hofkomponist der Coen-Brüder) findet dafür die richtigen Töne: Simpel ist der Score, und doch eindringlich – spiegelt sich doch in der absteigenden Tonfolge die ganze Tragik des Niedergangs wieder.

Dies ist also der neue Film von Sydney Lumet. Er ist Jahrgang 1924 (!) und kann auf eine lange Vita filmischen Schaffens zurückschauen. Darunter fallen Klassiker wie 12 Angry Men (1957), Serpico (1972) oder Dog Day Afternoon (1975) (letztere beiden meine Favoriten).
Er ist schlichtweg ein Altmeister des Thrillers. Auch dieser Film ist ein weiterer Meilenstein auf seinem noch hoffentlich langen Weg durch die Abgründe der menschlichen Seele.
Diese spiegeln sich auch in denen der Protagonisten, intensiv und nachfühlbar dargestellt vor allem von der männlichen Schauspielerriege: Philip Seymour Hoffman als innerlich zerrütteter Sohn eines ihm gegenüber überstrengen Vaters, dieser gespielt von Albert Finney, in dessen Physiognomie sich Härte ebenso wie Trauer widerspiegelt; und Ethan Hawke als der verzärtelte Sohn, der nicht ernst genommen wird, dem er hier sein jungenhaftes, naives Gesicht leiht (einen wirklich bösen Menschen möchte man ihn einfach nicht spielen sehen).
Ein Film, der mehr ist als nur die Summe seiner Teile.

Zu sehen im Apollo, in der Woche vom 10.04. bis 16.04.2008 täglich 20.00 und 22.15 Uhr im Kino 3

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