12
Sep
2008

Neulich in der Sneak: Redbelt von David Mamet (offizieller Filmstart: 18.09.2008)

Sneaks sind Vabanquespiele. Oder, wenn wir im Bild des Spieles bleiben wollen: Sneaks sind wie russisches Roulette – du weißt nicht, was die nächste Filmrolle enthält; entweder einen Schlappschuss oder einen Volltreffer. In diesem Bild ist Letzteres ausnahmsweise auch die erwünschte Alternative. So gesehen bietet eine Sneak genau das, was die abgestumpften Menschenmassen brauchen. Vielleicht erfreut sich diese Form der Vorpremiere gerade deswegen nach wie vor ungebremster Popularität. Nervenkitzel vor dem vermeintlichen Nervenkitzel des Films (wahlweise austauschbar mit Spannung vor der komischen Auflösung in der Komödie oder Herzrasen vor dem ersten Filmkuss im Liebesfilm etc.). Ich könnte weitere Überlegungen bemühen, um die Motivation der Menschen zu erfassen, am Ende lande ich doch bei mir.
Wie kann ein Mensch von halbwegs gesundem Menschenverstand wie ich sich auf diese Mätzchen einlassen, zumal wenn ich mir einbilde, ein Filmliebhaber zu sein und nicht einfach ein Konsument von oberflächlichen Popcorn-Kino oder eben auch nur von Popcorn?
Auch diese Frage nur zum Versuch der Klärung meiner Anwesenheit. Nennen wir es einfach mal die Glücksritter-Bekloppteritis, die mich zu einem Schuss ins Blaue verführte. Oder auch einem Schlappschuss wie oben.
So sitze ich also in meinem Sessel und versuche die ersten Zeichen zu lesen, zu deuten, zu abstrahieren: Welches Studio, wer spielt mit, wer schrieb das Drehbuch, wer führte Regie?
Der Reihe nach: Sony classics, Chiwetel Ejiofor (wer?) [dann folgen später noch: Joe Mantegna (also ein Mafia-Film) und Tim Allen (oder eher doch eine Komödie, warum dann aber Tim Allen unter ferner liefen?)], David Mamet, David Mamet. David Mamet? Das sagt mir doch was. Genau: David Mamet hat doch dieses Standardwerk für werdende Drehbuchautoren und Filmregisseure namens ON DIRECTING FILM (Die Kunst der Filmregie) geschrieben. Dann bin ich ja mal gespannt und gebe dem Film einige Vorschusslorbeeren. Doch meine zunächst positiv gestimmte Haltung dem Film gegenüber bedarf spätestens nach der ersten Viertelstunde (ist da nicht Zeit für den ersten Plotpoint?) der Revidierung. Aber erzählen wir zunächst, was passiert: Protagonist von Redbelt ist Mike Terry (eben der mir bisher unbekannte Chiwetel Ejiofor), der ein kleines Jiu-Jiutsu-Studio führt. Er wird als besonnener Charakter etabliert, was nicht zuletzt an seiner absoluten Hingabe an den Ehrenkodex der Samurai liegt. Diese Konsequenz wird im Fortgang der Handlung deren Katalysator bleiben – bis zum eher süßen als bitteren Ende.
Mike und seine hübsche Frau Sondra haben ständige Geldsorgen, wobei das Sorgen um das Geld eher auf Seiten seiner Frau liegt. Er hingegen lebt für seine Philosophie und seine Schüler. Im Verlauf des Films wird lediglich Mikes Vergangenheit angedeutet. So war er wohl Nahkampftrainer im Golfkrieg; aus dem Wettkampfleben hat er sich aus Überzeugung zurückgezogen. Doch die Dramaturgie des Filmes sieht vor, dass er diese Überzeugung verleugnen muss, um doch als strahlender moralischer und physischer Sieger aus der Handlung hervor zu gehen. Bis es aber soweit ist, bedarf es noch einiger dramatischer Wendungen und eben solcher Scharmützel.
Der Abriss: Eine Passantin (zufälligerweise Anwältin, was Mike später noch zugute kommen soll), löst einen Schuss aus der Dienstwaffe eines Polizisten, der Mikes Schüler ist, nachdem dieser sich der Frau genähert hatte (sie war Opfer einer Vergewaltigung). Dabei wird die Frontscheibe zerstört, Indizien mit der Patronenhülse geschaffen. Später erschießt sich der Polizist, als Mike ihm unwissentlich eine gestohlene Uhr als Ausgleich für ausgebliebenen Lohn vermacht, die er wiederum als Geschenk von einem berühmten Schauspieler (Tim Allen) geschenkt bekommen hat, nachdem er diesem bei einer Kneipenschlägerei zur Seite gestanden (und natürlich eindrucksvoll gewonnen) hatte. Über den Schauspieler scheinen sich Mike neue Einnahmequellen zu erschließen, soll er doch mit seinem Kampfwissen als Experte am neuen Filmprojekt mitwirken. Doch der Produzent (Joe Mantegna) klaut ihm nur eine Idee zu einer Jiu-Jiutsu-Kampfauslosung. Beim Versuch, mithilfe der Anwältin, der er zwischenzeitlich neues Selbstbewusstsein im Umgang mit ihrem Trauma gegeben hat, den Ideenklau finanziell ausgeglichen zu bekommen, wird er mit augenscheinlich kompromittierenden Unterlagen konfrontiert (die Patronenhülse, die Uhr). Im Zuge dessen bringt sich der Polizist um. In die Ecke gedrängt bleibt Mike nichts anderes übrig, wieder in den Ring zu steigen, um an fingierten Fights teilzunehmen. Sein Ehrgefühl rebelliert, er will die ganze Angelegenheit während des großen Fights zwischen seinem Schwager und dem japanischen Meister publik machen. Auf dem Weg zur Erfüllung seiner Mission ist er von keinem aufzuhalten – selbst nicht seinem Schwager, immerhin Träger des „Redbelt“, der höchsten Auszeichnung für den Meister aller Meister (toppt jeden schwarzen Gürtel). In einem emotional trashigen Finale überreicht ihm zunächst der Japaner als Zeichen der Ehrerbietung seinen Meistergürtel. Und wenn du denkst, es geht nicht mehr, kommt von wo noch der Rote Gürtel her. Ein Blick des geschundenen Helden in die Runde, dann Abblende. Endlich.
Der Begriff der Ehre soll durch den Film den roten Faden ziehen, dabei ist es eher ein rotes Kaugummi, das Fäden zieht, nein, halt, es ist kein Kaugummi, das dort rot und überall strahlt, es ist der Namen gebende rote Gürtel. Der Weg des Samurai ist gepflastert mit Poesiealbum-reifen Sprüchen – so spricht der Zyniker. Ich würde mir gerne ein Stück von der Samurai-Philosophie abschneiden und in den Alltag hinüber retten, spricht der sentimentale Moralist. „Es gibt immer einen Ausweg“ so die Tagline. Einen Ausweg aus dem Genre-Geschwurbel will es allerdings nicht so recht geben. Darf es also noch ein bisschen mehr Rührstück sein? Nichts halbes, nichts Ganzes, von allem ein bisschen ist bei dem Versuch herausgekommen, an alte Erfolge anzuknüpfen. Denn David Mamet ist ein großer Name. Oder gewesen? Eine kleine Auswahl, die einem die Tränen in die Augen treibt, wenn man sich nun diesen Film ansehen muss: The Postman always rings twice, The Verdict, Glengarry Glen Ross, Wag the dog.
Ich komme nicht umhin, die ganze Misere des Films an einem Zitat des Meisters himself aufzuzeigen: „Ein guter Autor wird nur dann besser, wenn er lernt, zu streichen, das Schmückende, das Beschreibende und vor allenm das tief Gefühlte und Bedeutungsvolle herauszunehmen. Was bleibt übrig? Die Geschichte bleibt übrig: die wesentliche Entwicklung von Ereignissen, die dem Helden auf dem Weg zu seinem einzigen Ziel widerfahren. Der Sinn, sagt Aristoteles, ist das, was dem Helden widerfährt ... nicht dem Autor. Man braucht nicht sehen können, um eine solche Geschichte zu schreiben. Man muß denken können. Das Drehbuchschreiben ist eine Kunst, die auf Logik beruht. Sie besteht aus der beharrlichen Anwendung einer Reihe von grundlegenden Fragen: Was will der Held? Was hindert ihn daran, es zu kriegen? Was passiert, wenn er es nicht bekommt?“
Warum hat sich der gestandene Drehbuchautor und Regisseur David Mamet nur nicht selber an seine Lehren gehalten?
Schade!

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