28
Mrz
2008

Die Film-Vorstellung für die Woche davor

Was gab's bei der Sneak vom 26.03.2008? Wir dürfen es verraten: Untraceable (offizieller Starttermin 03.04.2008)

Aus der Not eine Tugend zu machen, ist vergleichbar mit der befreit aufgespielten Kür nach der verpatzten Pflicht – oder auch nicht. Oder sagen wir: nach dem verpassten Pflichttermin. So konnte ich gestern nicht ins Kino gehen, um meinen neuen Film der Woche vorzustellen, da ich einen anderen Termin hatte, der nicht ohne war: die Vollversammlung des Hochschulradios, wo die Vergangenheit kritisch gebeugt und die Zukunft gemacht wird.
Langer Vorrede kurzer Sinn: Ich nutzte die Chance, mich einem alten Trauma zu stellen, in der Hoffnung, mein Trauma mit einer weiteren schlechten Erfahrung zu vertiefen. Sprich: Ich besuchte am Mittwoch nach gefühlten acht Jahren zum ersten Mal wieder eine Sneak-Preview, also eine Art einseitiges Blind date zwischen Zuschauer und Leinwand, zumindest aber ein Treffen, von dem nur die Leinwand profitiert im schlechtesten Fall. Mein letztes Sneak-Erlebnis, das mich so massiv geprägt hatte, lautete nicht – oh, schlechtes Wortspiel, hier du kommst: Sneakers – die Lautlosen, sondern Highlander: Endgame – eine Offenbarung uninspirierten Drehs.
Nun, wir wollen nicht über die Qualitäten eines Adrain Paul sprechen, sondern der Institution Sneak-Preview eine weitere Visitation zukommen lassen und uns diesem ganz eigenen cineastischen Phänomen, diesem kommerziellen Testlauf, sachte und überlegt annähern.
Hier meine Datenerhebung:
10,1 steht auf meinem Billet; mehr als ein Platz am Rande des Innenraums ist nicht übriggeblieben, die Resonanz scheint groß. Ich bevorzuge in der Regel Mitte, Mitte. Aber das Schicksal meint es gut mit dem Möchtegern-Rezensenten: Zwar sitze ich am Rand, aber dafür direkt am Eingang zur Loge, was vor allem absolute Beinfreiheit bedeutet. Selig in den Beinen folgt der Kopf mit leichter Schiefstellung. Die bereits angesprochene Resonanz ruft ein erstes innerliches Raunen hervor: die Sneak erfreut sich erstaunenswerten Zuspruchs!
Und das dafür, dass man das sprichwörtliche feline Individuum im jutenen gewebten Behältnis erwirbt...
Und so erfahren erste Gedankenteppichfransen ihre Aufwirbelung in Form der Erwägung des psychologischen Moments: Ist es allein die Spannung, der Nervenkitzel vor dem cineastischen Gau, was in die Kinosessel ruft? Das Risiko einer pekuniären Fehlinvestition allein ist mit 4,40€ auf allen Plätzen überschaubar.
Und lassen sich vielleicht Aussagen über die intellektuelle Beschlagenheit des Klientels machen? Gibt es so etwas wie den „typischen“ Sneak-Besucher? Denn ich für meinen Teil suche mir lieber den Film gezielt aus. Auch wenn ich mich dann im Vorfeld noch nicht en detail mit dem Inhalt des Filmes auseinandergesetzt habe, so baue ich doch eine gewisse Erwartungshaltung auf. Werde ich doch enttäuscht, bin ich es also selber schuld. Bei Filmen gebe ich das Schicksal demnach nicht gerne aus der Hand. Deswegen ärgert es mich dann ungemein, wenn mein Wunschfilm weswegen auch immer nicht läuft... – Das ist wie in der Kantine, wenn das Menü, welches meine Achtung gefunden hat zum Verzehr schon ausverkauft ist.
Weitere Frage, die aufstößt: Sind Sneak-Besucher die Zuschauer mit größerem Hunger auf Eis? Die hohe Frequentierung des marktschreierisch zur Tat schreitenden Verkäufers legt diese Vermutung nahe, lässt sie mitnichten nicht unbestätigt verwaisen.
Dann endlich der Film – der Vorhang öffnet sich, der Puls rastet ein, aber nicht zwangsläufig aus. Denn nur zu häufig folgt die Ernüchterung dem ersten Kick und die Refraktär-Zeit setzt ein nach dem Adreanlin-Peak, was eine Relaxation der facialen Muskulatur zur Folge hat; auch bekannt unter der Wendung: das lange Gesicht.
Wie wird sich also mein Gesicht unter dem Einfluss des Dargebotenen verändern? Auf der Leinwand erscheint das Logo von Universal Pictures. Ahaa! Dann folgt der nächste Produzent: lake-whatever. Ahaaa? Keine Ahnung. Düsterer Score. Dann: A film by Gregory Hoblit. Hoblit, Hobbit, da klingelt doch etwas. Da raunt es aus mir heraus: Ja, aber das ist doch der Regisseur von... Weiter komme ich nicht, denn da durchschneidet ein rüdes Schttt! Sneak! den Raum, und ich muss es mir geltend sehen.
So schweige ich und sehe den Titel: Untraceable. Ich bin im Bilde. Der neue Film von Gregory Hoblit, dem Regisseur solch raffinierter Thriler wie Fracture (Das perfekte Verbrechen) mit Anthony Hopkins und Ryan Gosling oder Primal Fear (Zwielicht) mit Richard Gere und einem erschreckend guten Edward Norton. Dankenswerterweise ist dieser Film hier nicht übersetzt – es hätte wahrscheinlich nur irritiert.

Die Story ist schnell erzählt: Diane Lane (bekannt aus Unfaithfull aus dem Jahre 2002 an der Seite von Richard Gere, oder auch Knight Moves [1992] mit Highlander Christopher Lambert [oh weh, mein Trauma!]) spielt die FBI-Agentin Jennifer Marsh, die im sogenannten Cypber-Crime-Programm Jagd auf Verbrecher macht, die im Internet ihr Unwesen treiben. Eingeführt wird sie als findige Ermittlerin, die selbstredend sofort einen Fall von Internet-Piraterie lösen kann. Weiterhin wird soviel von ihrem Privatleben preisgegeben, dass man erfährt, dass sie allein erziehend ist, eine 8-jährige Tochter hat und mit ihrer Mutter unter einem Dach wohnt. Es wird lediglich angedeutet, dass der Vater ihrer Tochter ebenfalls Polizist war und bei einem Einsatz ums Leben kam.
Nach erfolgreichem Start in den Plot kommt der Gegner der Heldin ins Spiel. Hinter der schlichten Webadresse www.killwithme.com verbirgt sich ein Psychopath, der zu einem interaktiven Killer-Spiel einlädt. Das Prinzip ist dabei ganz einfach: Die Anzahl der Besuche seiner Homepage bestimmt die Geschwindigkeit, mit der die Opfer hingerichtet werden. Als Teaser fungiert eine kleine Katze, die durch eine extreme Form des Fliegenfängers zur Unbeweglichkeit verdammteinen qualvollen Hungertod stirbt – und man ist virtuell live dabei.
Doch schon das nächste Opfer ist ein Mensch: Man sieht einen Mann, der mit nacktem Opberkörper an einem aufgerichteten Lattenrost gefesselt ist. Auf seiner Brust ist der Name der Homepage eingeritzt. Per Mausclick können die User den Zufluss eines Blut verdünnenden Mittels steuern; der Mann wird zum künstlichen Bluter. Die Resonanz ist groß – binnen weniger Stunden stirbt das scheinbar unschuldige Opfer, ein Vietnam-Veteran und Pilot. Besonders pervers: Die Besucher bloggen ihre kranke Meinung parallel zum Todeskampf.
Kurze Zeit später schlägt der Täter erneut zu. Diesmal trifft es einen Fernsehreporter. Die Todesart: Wärmelampen. Während das erste Opfer also verblutete, wird dieser Mensch durch click-gesteuerte Zuschaltung von Lampe um Lampe sukzessive verbrannt. Die Kamera hält schonungslos drauf, wenn der Mensch durch die rege Anteilnahme schneller als das erste Opfer noch verstirbt.
Während die Beamten fieberhaft an der Verfolgung des Psychopathen arbeiten, gerät Agent Marsh immer mehr in den Fokus der perfiden Machenschaften. Schließlich muss auch ihr junger Kollege dran glauben - dramaturgisch geschickt kurz bevor er ihr seine Hinweise auf die Identität des Killers mit Abstrichen mitteilen möchte. Diesmal nutzt dieser die chemische Reaktionsfreudigkeit von Schwefel in Wasser – der Kollege wird in Säure aufgelöst. Bevor er stirbt, ist er allerdings in der Lage, per Morseblinzeln den entscheidenden Hinweis zu geben (vorher hatte er sich noch darüber lustig gemacht, dass es für die Ermittler hilfreich gewesen wäre, wenn das erste Opfer in den Pfadfindern gewesen wäre).
Sein Opfer war also nicht umsonst, die Falle könnte zuschnappen. Natürlich ist der Psychopath nicht mehr unter der so gefundenen Adresse zu finden. Stattdessen kidnappt er Agent Marsh, um seinen Plan zu vollenden: Er will Rache nehmen an der Sensationslust der Menschen, die sich am Schicksal seines Vaters ergötzt haben, der sich vor laufender Kamera das Gehirn rausgeblasen hat. Alle Opfer des gerade mal 20-jährigen Sohns haben sich mittels des Unglücks profiliert: der Katzenbesitzer hatte die Brille des Vaters versteigert, der Pilot lieferte die Bilder während eines Verkehrsstaus, der reporter interviewte Zeugen und weidete das Thema aus, und die Polizei ließ den via Internet unterstützten Voyeurismus in seinen Augen untätig gewähren.
So soll Agent Marsh schließlich in ihrem Gartenpflug gehäckselt werden – unter den Augen der gewaltlüsternen aktiven Zuschauer. Doch sie kann sich befreien und besiegt in einem finalen Kampf den jungen Mann, der selbst nur Opfer seiner traumatisierenden Umstände wurde. In einem letzten Bild reckt Agent Marsh ihre Marke in die zu Boden gefallene Kamera. Das Zeichen ist eindeutig: Crime doesn't pay. Aber was schert das schon die Blogger, die mit zynischen Kommentaren ihren Schlusstrich posten?

Die Meinung des Regisseurs sollte eindeutig sein: Mit Bildern aus Vogelperspektive bis hin zur totalen Aufsicht auf die Stadt, die nicht umsonst an Bilder aus Google Earth erinnern, suggeriert Gregory Hoblit den Verlust der Intimsphäre. Diese Anklage wäre natürlich zu kurz gegriffen. Vielmehr soll es eine offene Kritik am Konsumverhalten, an der Schaulust und am Missbrauch der multimedialen Möglichkeiten sein. Ich sage mit bedacht: „soll“.
Denn macht sich der Regisseur nicht auch des Voyeurismus schuldig, indem er gerade die Mittel für den Effekt einsetzt , die er im Leben abseits der Leinwand anprangert. Interessant ist natürlich die Betrachtung der unterschiedlichen Ebenen, wenn die filmische und die meta-filmische Ebene in Deckung gebracht werden und Täter und Regisseur eins werden.
Denkwürdig allemal und programmatisch ist folgendes (sinngemäßes) Statement des Täters: „Faszinierend, wie viele dich töten wollen, obwohl sie dich gar nicht kennen.“

Wer will Mittäter werden? Teste dich auf www.killwithme.com !

Cineman

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